Die Geschichte von Lolliolli
Wie eine verrückte Idee zur bunten Mission wurde
Man sagt ja gern, jede gute Geschichte starte entweder in einer Garage oder nach einem Abend, an den man sich lieber nur teilweise erinnert. Bei LolliOlli stimmt beides irgendwie.
Es war ein milder Abend auf einem Stadtfest, die Stimmung gut, die Gläser etwas zu voller als geplant und die Gespräche irgendwann bei den Erinnerungen an früher. Auf dem Heimweg blieben wir vor einem alten Kaugummiautomaten stehen. Einer dieser verlassenen Kästen, die still vor sich hin rosten. Jemand meinte, es sei schade, dass man sie kaum noch sieht. Wir lachten, liefen weiter und eigentlich war die Sache damit erledigt. Dachte ich zumindest.
In den Tagen danach ließ mich dieses Bild nicht los. Dieser Moment, wenn man als Kind eine Münze einwirft und kurz innehält, weil man nie genau weiß, was gleich herausfällt. Fahrrad anschließen, rennen, drehen, warten – das war früher ein kleines Abenteuer im Alltag. Und plötzlich war der Gedanke wieder da, stärker als gedacht.
Ein paar Tage später erzählte ich in einer Pause des Bootsführerschein-Kurses meinem Segellehrer von dieser Stadtfest-Szene. Reiner Smalltalk, glaubte ich. Er grinste und meinte trocken, er habe noch ein paar Automaten in seiner Halle stehen. Da sprang etwas in mir an. Ohne viel Überlegung hörte ich mich sagen, er solle sie mir verkaufen. Und ab da nahm die Geschichte Fahrt auf.
Natürlich lassen sich alte Automaten nicht einfach anschrauben und starten. Viele waren noch auf D-Mark eingestellt, also begann die Suche nach passenden Teilen, Füllware, Farben und Stellplätzen. Wochenenden verschwanden im Werkzeugkoffer, überall roch es nach Lack und Metall, und jeder Testlauf war eine Mischung aus Hoffnung und Improvisation. Ohne Familie und Freunde wäre das kaum zu schaffen gewesen.
Der Moment, in dem der erste restaurierte Automat an einer Restaurantwand hing, war für mich größer, als ich zugeben wollte. Als das erste Kind eine Münze einwarf, war klar, dass dieser ganze Aufwand nicht nur Nostalgie war, sondern etwas, das Menschen verbindet.
Was dann geschah, hätte ich mir nie vorstellen können. Mein ursprünglicher Plan war überschaubar. Ein paar alte Automaten restaurieren, sie wieder an die Wand bringen und vielleicht hin und wieder jemanden zum Schmunzeln bringen. Mehr hatte ich nicht im Sinn. Doch nachdem eine Lokalzeitung einen kleinen Artikel veröffentlicht hatte, nahm die ganze Sache plötzlich eine Richtung, in die ich sie nie erwartet hätte.
Zuerst meldeten sich regionale Sender, die ein kurzes Porträt drehen wollten. Ich dachte, das sei eine nette Randnotiz, ein kleiner Beitrag über ein nostalgisches Hobby. Doch kurz darauf riefen überregionale Redaktionen an, die die Geschichte ebenfalls spannend fanden. Und irgendwann wurde es völlig surreal. Mein Telefon klingelte und am anderen Ende meldeten sich Redaktionen aus Neuseeland, Japan und Singapur, die unbedingt mehr über diese Automaten und ihre Rückkehr ins Stadtbild erfahren wollten.
Innerhalb weniger Wochen standen Kamerateams vor meinen restaurierten Geräten, stellten Fragen, filmten Details und wollten wissen, was mich antreibt. Ich gab Interviews, erzählte von der Idee, den Erinnerungen und dem Wunsch, ein kleines Stück Kindheit zurückzubringen. Und während all das passierte, staunte ich selbst darüber, welche Kreise diese einfache Idee zog und wie weit sie hinausgetragen wurde.
Zum Beitrag von RTL
Als wäre all die mediale Aufmerksamkeit nicht schon überraschend genug gewesen, meldete sich wenig später Sacha Szabo bei mir, ein Wissenschaftler der Popsoziologie, der sich intensiv mit der kulturellen Bedeutung dieser Automaten beschäftigt. Er hatte von meinem Projekt gehört und wollte verstehen, warum mich ausgerechnet diese alten Geräte so sehr faszinieren. Ihn interessierte nicht nur die Geschichte der Automaten, sondern vor allem meine persönliche Motivation. Was treibt jemanden an, so viel Zeit und Herzblut in etwas zu stecken, das viele längst abgeschrieben haben. Welche Rolle spielen diese Automaten heute noch und warum wecken sie bei so vielen Menschen Erinnerungen.
Wir telefonierten mehrmals und führten ein ausführliches Interview. Er stellte kluge Fragen, blieb neugierig und hatte echtes Interesse daran zu verstehen, wie sich die Automaten aus meiner Sicht entwickelt haben. Wir sprachen darüber, welche Bedeutung sie früher im Alltag hatten, wie sie Kinder geprägt haben und wie sie auch heute noch eine kleine Brücke zwischen Generationen schlagen können. Für ihn war genau diese persönliche Sicht wichtig, weil sie seiner wissenschaftlichen Arbeit eine menschliche Dimension gab, die man in reinen Fakten nicht findet.
Monate später lag sein Buch vor mir. Es trägt den Titel Bubble Gum Stories und widmet sich der Kulturgeschichte dieser kleinen Alltagsikonen. Und mitten in diesem Werk findet sich ein eigenes Kapitel über LolliOlli, über meine Motivation und darüber, warum diese Automaten für mich mehr sind als ein nostalgisches Hobby.
In diesem Moment wurde mir klar, dass aus einem spontanen Gedanken etwas entstanden war, das weit über die Restaurierung alter Geräte hinausgeht. Es war zu einem Teil einer größeren Geschichte geworden, die Erinnerungen weckt und sogar wissenschaftliche Neugier entfacht.
Doch keine Geschichte bleibt ohne Wendepunkte. 2020 kam die Pandemie und die Automaten blieben unberührt. Ein Jahr später folgte die Flut im Ahrtal und fast alle meine Automaten wurden zerstört. Es fühlte sich an, als würde alles, was ich aufgebaut hatte, einfach fortgespült. Aufgeben war trotzdem keine Option. Denn immer wieder sah ich dieses Bild: ein Kind vor einem Automaten, voller Vorfreude. Viele sagten mir, ich solle weitermachen. Diese Kästen bringen noch heute Menschen unterschiedlichster Generationen zusammen und schaffen kleine Momente, die man nicht digital ersetzen kann. Also restauriere ich weiter, auch wenn Münzgeld immer seltener wird. Freunde sammeln für mich Kleingeld, Banken hingegen machen mit ihren Gebühren wenig Mut. Wie die Zukunft ohne Bargeld aussieht, weiß ich noch nicht. Aber darum kümmere ich mich, wenn es soweit ist.
Was mich am meisten stolz macht, ist die wachsende Begeisterung in der Familie. Vielleicht entsteht bald der erste Automat einer neuen Generation, irgendwo in einer anderen Stadt, mit neuem Logo, aber mit derselben Idee dahinter.
Mein größter Wunsch ist simpel. Ich hoffe, LolliOlli überdauert mich. Dass ich auch im Alter noch an einem Automaten schrauben kann und sehe, wie Menschen ihre Münze einwerfen, drehen und für einen kurzen Moment wieder Kind sind.
Manchmal beginnt ein großer Traum eben mit genau dieser einen kleinen Münze.
